Gar nicht cozy an der Grenze USA/Kanada
Die Covergestaltung der deutschen Ausgaben der Romane von Louise Penny vermittelt die behäbige Ruhe eines Landkrimis: den leisen Charme eines kleinen kanadischen Dorfes, Kaminholz, Croissants, verträumte Wälder, gemütliche Kaffeerunden und ein leicht skurriles Personal, inklusive schräger Lyrikerin mit frecher Ente als Haustier.
Wer aber den Aufstieg von Pennys Protagonisten Armand Gamache, Chefinspektor der Sûreté Nationale in Montreal, chronologisch mitverfolgt hat weiß, dass Kanada mehr ist als der fiktive Ort Three Pines – Korruption, Machtspiele, gnadenlose Politintrigen bilden den realistischen Kontrapunkt zum Rückzugsort des geadezu abgeklärten Gamache, seiner Familie und Kolleginnen und Kollegen. Wer glaubt, dass die Kriminalist*innen der Montrealer Sûreté bieder ermittelnde Armchair-Ermittler sind, täuscht sich gewaltig: wenn einmal die Schießeisen aus dem Halfter sind, geht die Action auch entsprechend ab. Cozy ist da gar nichts mehr …
Pennys letzte beiden Romane Der graue Wolf und Der schwarze Wolf hängen zusammen, und es ist durchaus sinnvoll, sie in der Reihenfolge des Erscheinens zu lesen. Penny nimmt ihre Figuren und Leser*innen bei der Hand und reißt sie gnadenlos in die größte Gefahr, die man sich vorstellen kann: ein politisches Komplott mit Brisanz, bei dem es um Wasservergiftung, Regierungsintrigen, Machtpolitik und nationale Identität geht.
Zwei Wölfe
Der graue Wolf fungiert als düsterer Auftakt. Die Idylle des Dörfchens Three Pines zerbröckelt — ein verschwundenes Kleidungsstück, mysteriöse Anrufe, ein anonymes Paket, ein rätselhafter Zettel. Was zunächst wie eine klassische Krimimelange beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Bedrohungsszenario, bei dem aus einem Mord ein größerer Plan erwächst — mit Potential, das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel zu setzen.
Mit Der schwarze Wolf, gleichsam Fortsetzung und Eskalation, wird klar, dass Penny weit über das Genre hinaus will: Der vereitelte Anschlag war nur der Anfang — nun öffnen sich Abgründe von Korruption, Verrat und verdeckten Machenschaften, tiefer noch als gedacht. Wer ist Freund, wer Feind? Wem kann man noch vertrauen, wenn nicht einmal die eigenen Reihen sicher erscheinen? Mit einer Mischung aus Paranoia, politischen Verstrickungen und existenzieller Bedrohung feiert sie die Hochzeit aus Spannung und Politthriller. Three Pines spielt natürlich als Bühne mit – aber diesmal spielt sich die Haupt- und Staatsaktion auf der (inter)nationalen Bühne ab.
Vor dem Hintergrund des fragilen Verhältnisse zwischen Kanada und den USA entsteht das Panorama eines Kontinents, der mit geopolitischen Spannungen, nationalistischen Rückfällen, dem Spiel mit Angst, den Sozialen Medien als taktische Waffen und Wasser als Lebensressource hadert.
Penny verwebt klassische Krimi-Elemente mit geopolitischen Machenschaften und Umweltkrisen — das fühlt sich an wie ein Albtraum, dessen Neschreibung man nicht mehr aus der Hand legen kann. Trotz aller Verschwörungen mutiert Armand Gamache nicht zum abgebrühten Action-Helden, er bleibt ein empathischer, reflektierender Ermittler und damit ein (ethischer) Fels in der Brandung. Die Nebenfiguren, Verbündeten wie Gegner, sind nicht bloß Schachfiguren, sondern voller Leben und Widersprüchen. Gerade Der graue Wolf nutzt den klassischen Einstieg — die erwähnte verschwundene Jacke, ein mysteriöser Zettel, der aus den Nichts auftaucht — um uns nach und nach in eine Spirale aus Gewalt und Intrigen zu ziehen. Der schwarze Wolf eskaliert dann.
Fazit
Wer Cozy-Krimis mit Kaminfeuer liebt, sollte die beiden Bände trotzdem lesen. Aber Vorsicht – der Kamin bleibt kalt, stattdessen lauern in Montréal die dunklen Seiten der Macht. Wer Politik, Korruption und die Abgründe der Globalisierung nur aus Sachbüchern kennt — Penny produziert aus der Analyse Gänsehaut. Selten hat ein vermeintlicher auf ein dörfliches Idyll fokussierter Krimi so gnadenlos den Bogen hin zur globalen Strategie der Mächtigen geschlagen.

Angaben
Louise Penny
Der schwarze Wolf
KAMPA Verlag | 512 Seiten
€ 25.60 (Gebunden)

Angaben
Louise Penny
Der graue Wolf
KAMPA Verlag | 544 Seiten
€ 24.60 (Gebunden)



