Martin Prinz gelingt mit Die letzten Tage ein bemerkenswerter Tatsachenroman, der durch seine stille Kraft und klare Sprache lange nachhallt. Prinz erzählt von einem ungeheuerlichen Verbrechen, das sich in den allerletzten Kriegstagen 1945 in einer abgelegenen Talöffnung beim idyllischen Reichenau (Rax) ereignet hat. Ein kleines, aber umso eindringlicheres Kapitel österreichischer Geschichte.
Im Zentrum steht der lokale NS-Funktionär Johann Braun, der – obwohl das Regime längst in Auflösung begriffen ist – noch einmal zu brutaler Form aufläuft: Er errichtet ein selbstherrliches Standgericht, spricht Todesurteile über Nachbarn, Bekannte, Mitbürger. Die Motive? Gekränkter Stolz, persönliche Rechnungen, ideologische Borniertheit. Die Grausamkeit dieser Tage wirkt umso erschütternder, als der Krieg praktisch schon vorbei ist. Die Rote Armee steht, sozusagen in Schussweite, bei Payerbach, ist aber vollständig auf den Kampf um Wien fokussiert. Es ist das letzte Aufbäumen eines Systems, das in seinem Untergang noch möglichst viel Leid zu säen versucht.
Was dieses Buch so lesenswert macht, ist nicht nur das Thema – sondern vor allem, wie Prinz es erzählt. Er vermeidet jede aufgesetzte Dramatik, bleibt bei den Fakten, bei den dokumentierten Verläufen und Aussagen. Seine Sprache ist nüchtern, präzise, aber nie kalt.
Die letzten Tage ist auch ein Buch über Erinnerung und Aufarbeitung. Dass die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden, ist historisch bemerkenswert – und gibt dem Roman eine zusätzliche Dimension: die Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und der Frage, wie Gesellschaften mit ihrer Vergangenheit umgehen. Besonders berührend ist der Umstand, dass zwei Männer, die beinahe zu Täter und Opfer geworden wären, diese Geschichte über Jahrzehnte hinweg nicht losgelassen hat – und dass sie so, viele Jahre später, durch Martin Prinz eine Stimme erhält.
Jene, die heute die Ursachen für die mörderische Fanatisierung einiger Jugendlichen unter der Fahne des Dschihad in einer „kulturellen Rückständigkeit“ sehen, sollten darüber nachdenken, wieso (haken)kreuzbrave hiesige Buben – 14, 15-jährige – erbarmungslos ihresgleichen als „Volksverräter“ und „Fanhnenflüchtlinge“ umgebracht haben, bloß weil jene nicht für das Naziregime in einem aussichtslosen „Endkampf“ verrecken wollten.
Für alle, die sich für die „kleinen“ Geschichten am Rand der großen Geschichte interessieren – und dafür, was Menschen in Extremsituationen ausmacht.

Angaben
Martin Prinz
Die letzten Tage
Jung und Jung Verlag / 272 Seiten
€ 24.00 (Gebunden)